Endlich führt der Pfad über einen abgerundeten und längs eingekerbten Felsrücken, der ganz offensichtlich vom Eis geschliffen wurde, als der mächtige Gletscher noch das ganze Tal ausfüllte. Die Landschaft verändert sich jetzt merklich – die Wiesen weichen einer felsigen Gegend, der Wanderweg führt durch unwegiges Gelände talwärts. Der Senior bleibt immer weiter zurück und klagt über schmerzende Zehen, während der Junior wie eine Bergziege von Felsbrocken zu Felsbrocken hüpft.
Da erscheint unter uns die langersehnte Hängebrücke, welche hoch über dem weissen Schmelzwasser des Aletschgletschers die Schlucht überquert. Der Enkel, der sich vor Antritt der Wanderung vor der Hängebrücke gefürchtet hatte, prüft zuerst die Dicke der Stahlseile. Nachdem diese offenbar zu seiner Befriedigung ausfällt, rennt er freudig über die Brücke – und wieder zurück. «Mama, komm!» Diese ist skeptischer und klammert sich krampfhaft an den Stahlseilen fest, während sie einen Blick runter in die Schlucht wagt.
Währenddessen ist der Grossvater ausnahmsweise vorausgegangen und hat die Brücke mutig überquert – ohne den Massafluss in der Tiefe auch nur eines Blickes zu würdigen.
Drachen im Aletschwald
Nun beginnt der Aufstieg. Auf den ersten Metern dominiert bei den beiden Älteren Angst um den Junior, so steil geht es neben dem schmalen Weg runter in die Schlucht. Doch bald ist die Zitterpartie ausgestanden, und wir betreten den Aletschwald. Dieses Schutzgebiet beherbergt vorwiegend Arven – angeblich wachsen hier die ältesten Bäume der Schweiz, teils 900 Jahre alt.
Nur das allererste Stück ist steil und steinig, danach führt der Pfad in angenehmem Zickzack stetig nach oben. Es beginnt zu nieseln, doch die Arven beschützen uns. Es ist in der Tat ein wunderschöner Wald mit einer ganz eigenen Stimmung. Fliegt dort nicht gerade ein Drache über den Weg? Oder ist es doch nur ein knorrig gewundener, toter Baum? Sofort klettert der Kleine darauf hoch und zähmt den Drachen.
Der Grossvater geht mal vor, mal hinter uns – nebeneinander ist auf diesem schmalen Weg kaum möglich. Plötzlich verstummen wir. Wenige Meter vor uns stehen Gämsen, mitten auf dem Weg! Die Tiere stehen still und betrachten uns für einen kurzen Augenblick, dann rennen sie talabwärts. Wir sind ganz beglückt – noch nie haben wir Gämsen in freier Wildbahn aus solcher Nähe gesehen!